Die Wirtschaftslage ist uneinheitlich, die Charttechnik erscheint zur Zeit entgegengesetzt den ökonomischen Nachrichten. Aus Amerika hört man vom Finanzminister Geithner die Warnung vor dem Staatsbankrott, der Dow und der S&P jedoch steigen, im Gleichklang mit dem Öl übrigens, was ein sich beschleunigendes Wachstum indiziert. Deutschland kommt wieder einmal als ökonomischer Musterknabe daher, die Arbeitslosenzahlen sinken, die Exporte steigen (auch durch den schwächelnden Euro begünstigt), der Dax jedoch dümpelt seitwärts und lässt keine großen Fantasien nach oben zu.
Dies sind mehr oder weniger Momentaufnahmen der letzten Tage und Wochen, die vor allem einen Schluss zulassen: Die Lage ist zwiespältig. Glaubt man an die Antizipation der Wirtschaftsentwicklung durch die Börsen im Allgemeinen und an den Optimismus der Amerikaner im Besonderen, könnte es mittelfristig wieder aufwärts gehen. Wenn es jedoch so wäre – diese Philosophie entspringt einem Denkmuster der etwa letzten fünfzig Jahre – muss man sich doch fragen, wie die USA ihr Staatsdefizit, ihre technologische Rückständigkeit in manchen industriellen Sektoren und gleichzeitig ihre enormen Belastungen durch ihr internationales Engagement in Krisenregionen gleichzeitig bewältigen wollen. Und auch Europa ist durch die Krise der PIIGS angeschlagen. Der Staatsbankrott eines Eurolandes – es könnte Irland oder Griechenland treffen – und möglicherweise das Auseinanderbrechen der Eurozone, vor wenigen Jahren noch als Schwarzmalerei verschrien, erscheint heute nicht mehr ausgeschlossen. Natürlich wird man alles dagegen unternehmen, man wird Lasten schultern und Lösungen versuchen auszuverhandeln. Es gibt jedoch Grenzen. Erinnert sich jemand an die Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrages? Nun, hier sind sie: Die Defizitquote darf 3%, die Schuldenstandsquote 60% des BIP des jeweiligen Mitgliedslandes nicht überschreiten. Und hier sind die aktuellen Zahlen: Irland: Staatsdefizit 2010 : 32%, Griechenland 13,6% (2009), Spanien 11,2% (2009). Und hier die Verschuldung: Griechenland und Italien je über 115%, Belgien knapp 100%, auch Deutschland und Frankreich liegen zwischen 70 bis 80%. Zieht man ein globales Fazit, so könnte man vor allem eines sagen: Die westliche Welt lebt über ihre Verhältnisse, und das nicht erst seit gestern. Woher kommt dann der Optimismus an den Börsen?
Möglicherweise ist es der Mangel an alternativen Anlagemöglichkeiten. In den Sparstrumpf möchte noch immer niemand sein Geld stecken (auch wenn das in den letzten 10 Jahren mehr gebracht hätte). Und die Anlagementalität folgt einer gewachsenen Kultur. Der Dissenz zwischen Fundamental-und Charttechnikern ist noch relativ jung, immer noch werden Unternehmen gemäß ihren Kennzahlen bewertet, zum Beispiel dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das für die DAX 30 momentan mit etwas über 11 attraktiv niedrig erscheint (realistisch wäre etwa 15), was für konservative Aktienfondsmanager nur den Schluss zuläßt, dass man kaufen kaufen kaufen sollte. Und auch wenn die, die heute an den Hebeln der großen Finanzgesellschaften und Hedgefonds sitzen, schon aufgrund ihres Lebensalters die Entwicklung der letzten 10 Jahre in der ersten Reihe mitverfolgt haben: Der gesunde Menschenverstand scheint ihnen zu sagen, dass es im Aktienmarkt momentan nach oben gehen müsste. Andererseits rät ihnen ein ebenso gesunder Instinkt zur Vorsicht. Die Nachrichten sind widersprüchlich, die Charttechnik ist es ebenfalls. Auch eingefleischte Charttechniker, die keinen Pfifferling auf ökonomische Kennzahlen geben (das ist alles im Chart eingepreist), wissen nicht mehr wohin, zumal bewährte Theorien wie die des guten alten Elliot kaum noch funktionieren. Was bleibt, ist Unsicherheit allerorten. Die Märkte suchen ihre Richtung.