Die Spekulation selbst hat einen absolut vernünftigen Hintergrund. Ein Jeder spekuliert: Wie werden bestimmte Preise in Zukunft ausfallen, welches Land könnte – aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen – das nächste attraktive Urlaubsziel werden, und welchen Beruf sollten die eigenen Kinder ergreifen, damit sie in zwanzig Jahren genug Geld verdienen? Ein jeder Kleinunternehmer spekuliert sowieso. Wenn jemand einen Imbißstand betreibt, muss er jede Woche beim Großeinkauf spekulieren, wie vielen Kunden er nächste Woche Pommes verkaufen kann. Kurz und knapp: Spekulation gehört zum Leben.
Die Wirtschaftswissenschaftler bringen das natürlich auf ein anderes Level. Asymmetrische Information nennen sie das Phänomen, wenn jemand über künftige Entwicklungen mehr zu wissen glaubt als die übrigen Marktteilnehmer und dadurch den Spekulationsvorteil erlangt. Was diese in der Studierstube erfundene Definition außer acht lässt, ist die Tatsache, dass sich Spekulanten jederzeit auf ganz dünnem Eis bewegen. Die Selbstmordrate unter Tradern ist außerordentlich hoch, die finanziellen Brüche in ihren Biographien sind es fast immer. Andre Kostolany war etliche Male pleite, und zwar richtig pleite. Dennoch ist Spekulation notwendig.
Ursprünglich dient die Aktienanlage der Finanzierung eines Unternehmens, und das tut sie nach wie vor. Über die ausgegebenen Aktien erlangt die Firma das Kapital, das sie zum weiteren Wachstum benötigt. Jedoch werden die Aktien sofort nach Emission zum Spekulationsobjekt, und das soll auch so sein. Denn dadurch verlagert das Unternehmen einen Großteil seines Risikos auf die Aktionäre und die Spekulanten unter ihnen. Diese versuchen nun die Preise für ihre Anlage zu ermitteln, beeinflussen die Preise unmittelbar durch ihre Käufe und Verkäufe und verursachen damit eine Ressourcenallokation, das heißt sie ordnen dem Gut – dem Unternehmensanteil per Aktie – einen Wert zu, der ihm, so die Theorie, tatsächlich innerhalb der Verteilung aller Güter zusteht. Ob dies gerechtfertigt ist und wirklich funktioniert, ist die Gretchenfrage des Börsenhandels seit Unzeiten. Denn der Handel mit den Aktien selbst verselbständigt sich und entkoppelt sich vom tatsächlichen wirtschaftlichen Geschehen mehr oder weniger. Zwar versuchen alle Marktteilnehmer im nackten Eigeninteresse permanent, so viele Informationen wie möglich über den realen Wert ihrer Anlage zu erlangen, wenn jedoch die Kurse aufgrund der Eigendynamik des Börsenhandels steigen oder fallen, werden sie nichts weiter tun können als wiederum im nackten Eigeninteresse mitzuspielen. Das ist das Phänomen, wenn Unternehmenszahlen herauskommen, prächtig ausfallen und hernach die Kurse dieses Unternehmens sinken, was bisweilen dadurch begründet wird, dass der Markt eben noch bessere Zahlen erwartet hätte. In Wahrheit ahnten aber vielleicht viele Spekulanten, dass es gute Zahlen geben könnte, hatten schon vorher gekauft und nehmen nun im richtigen Moment ihre Gewinne mit, was die Kurse purzeln lässt.
Natürlich versuchen auch Spekulanten mit Überlegungen zur Substanz und Wirtschaftslage eines Unternehmens die richtige Richtung zu prognostizieren. Großspekulanten wie Warren Buffet und Georges Soros wurden dadurch Milliardäre, dass sie Unternehmen gründlich analysierten und den dadurch ermittelten Wert mit dem zu diesem Zeitpunkt gehandelten Aktienwert verglichen. Fiel letzterer zu niedrig aus, kauften sie. Sie überlegten – meist richtig – dass das Unternehmen offensichtlich unterbewertet war und der Markt dieses früher oder später merken würde, wodurch sie den Vorteil des billigeren Einkaufs erlangten. Zu ihren Überlegungen gehörten noch weitere wesentliche Details. Warren Buffet hatte zum Beispiel stets den Grundsatz, keine Aktie zu kaufen, die er nicht mindestens zehn Jahre lang halten würde (unabhängig davon, wie schnell er später wieder verkaufte). Hinter diesem Konzept steckt Nachhaltigkeit und das Vertrauen in langfristige Entwicklungen. Warren Buffet, Georges Soros (beide geboren 1930) und Andre Kostolany (1906 – 1999) wuchsen in einer Zeit auf, in der die erfolgreichsten Unternehmen oft die ältesten waren. Solche Unternehmen gibt es auch heute noch. Aber die Welt hat sich gewandelt, und für die Global Player der Finanzmärkte ist ein Unternehmen das Gleiche wie ein Rohstoff oder eine Währung – eine Summe, mit der sich handeln lässt. Und die Handelsinstrumente werden immer umfangreicher.